Marina K. Wolf
Autorin

RIANNU
Band I: Das verborgene Volk

Kapitel 1

Maris stand über den reglosen Körper gebeugt und keuchte. Sie spürte ihr Herz schlagen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Wie ein Donnerschlag hallte es in ihren Ohren und jagte das Blut in heißen Strömen durch ihren Körper. Funken knisterten in ihrem Haar, zuckten als kleine Blitze über ihre Fingerspitzen und fuhren in den Boden. Sie stürzten sich auf das verstreute Papier und tanzten jubelnd umher. Erfassten die Kutte des Priesters und schmolzen das Medaillon auf seiner Brust. Der absurde Geruch von Gebratenem lag in der Luft und vermischte sich mit dem dichter werdenden Rauch. Mit einem Mal wirkte der Mann nicht mehr groß und bedrohlich. Er lag einfach da, in sich zusammengefallen. Das Gesicht war noch immer in einem letzten, panischen Aufschrei verzerrt und kein Atem hob mehr seine Brust.   

Erst als freundliche Flammenzungen an ihren Füßen leckten, blinzelte Maris und schüttelte ihren tranceartigen Zustand ab. Orangeroter Feuerschein erhellte das Turmzimmer. Wann war das Feuer so groß geworden? Sie rief nach ihm, doch es wollte nicht mehr auf sie hören. Es war jung und hungrig und es gab hier zu viele lockende Bücher und Schriften. Funken stoben lachend durch den Raum und fielen wie Sternschnuppen auf die mit Stroh gefüllte Matratze und den zweiten Mann, der darauf lag.

„Nein!“, schrie Maris und scheuchte sie vom Lager fort. Sie stürzte auf den reglosen Körper zu, nahm ihn in ihre Arme und suchte verzweifelt nach dem Pochen eines schlagenden Herzens. Stattdessen hörte sie wie durch einen Nebel den warnenden Klang einer Glocke. Ein Wimmern entwand sich ihrer Kehle, während die Hitze in ihrem Inneren langsam einem kalten Grauen wich. Das Blut auf Manglons Kutte begann bereits zu trocknen und seine Augen starrten blicklos in eine Leere, in die Maris ihm nicht mehr folgen konnte. Ihr Ziehvater war tot. Sein Mörder ebenfalls. Ein Würgen stieg in ihr auf. Draußen schlug die Glocke hell und aufgeregt. Sie musste hier weg.

Noch einmal beugte sie sich über den Mann, der ihr immer Liebe und Vertrauen geschenkt hatte. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie heiser. Sie kreuzte seine Hände auf der Brust, schloss ihm mit zitternden Fingern die Augen und wühlte in ihren Taschen, bis sie zwei Münzen fand, die sie auf seine Lider legen konnte. „Möge Sahed dir Frieden schenken in seinem ewigen Reich.“ Sie küsste ein letztes Mal seine faltige Wange, dann ging sie zur Tür.

Rauch folgte ihr und zog in dunkler werdenden Fäden an der Decke entlang. Ein Teil von ihr wollte bleiben und die Flammen mit offenen Armen erwarten. Sie riefen nach ihr. Sie waren warm und freundlich und würden sie aufnehmen wie eine der ihren. Zusammen würden sie tanzen und essen und wachsen, bis sie die dunkle Nacht sonnenhell erleuchteten.

Maris setzte mühsam einen Fuß vor den anderen. „Wir haben ihn getötet“, flüsterte sie und ihre Stimme brach.

Das Feuer verstand sie nicht. Es kannte kein Leben oder Tod, nur das Licht und den Wind und den Hunger.

Da riss sie sich endlich los und floh. Sie rannte mit lauten Schritten über die Steinfliesen den Gang entlang, eine steile Treppe hinunter und durch den hohen Säulengang bis in den Hof. Prasselnder Regen schlug ihr entgegen und zischte auf ihrer Haut.

Die Glocke hatte die Brüder geweckt. Männer liefen verwirrt über den Hof, viele noch in ihren Nachtgewändern. Sie schrien durcheinander und zeigten auf die feurigen Zungen, die aus dem Westturm leckten. Der Tempel war nur in den unteren Geschossen aus Stein gebaut, die darüber liegenden Stockwerke und die beiden Türme bestanden hauptsächlich aus Holz. Die Flammen waren begeistert. Maris' Kopf dröhnte. Tränen rannen aus ihren Augen und verdampften, kaum dass sie ihr heißes Gesicht berührten. Menschen kreischten in Panik.

Maris zog den Kopf ein und rannte schneller, wich dunklen Gestalten aus und hielt den Blick auf ihr Ziel gerichtet. Dort vorne lag das Tor, sie war fast schon da.

Eine Hand schoss aus der Dunkelheit auf sie zu, packte ihren Arm und eine Bassstimme brüllte etwas Unverständliches. Ihr Herz pochte heftiger und sie glaubte, ihr Kopf müsste in all diesem Lärm zerspringen. Das Feuer in ihren Adern ließ ihr Blut rauschen und zischen. Funken tropften von ihrer Haut. Die Bassstimme schrie überrascht auf und der Griff lockerte sich.

Maris riss sich los und hetzte weiter, immer auf das Tor zu, während der Tanz der Flammen um sie herum die Nacht erhellte. Ihr Atem schlug hart und heiß gegen ihre Brust. Sie fand das Tor unbewacht vor. Die Wächter waren wohl in dem Chaos auf dem Tempelhof untergegangen.

Maris hatte noch nie versucht, die schweren Riegel allein zu öffnen, doch jetzt stemmte sie sich mit aller Kraft dagegen. Das alte Eisen knirschte unwillig und regte sich nicht. Panisch blickte Maris sich um. Die schreiende Menge formierte sich langsam zu einer Ordnung.Die Brüder bildeten eine Eimerkette, einer brüllte Anweisungen über den Hof. Jeden Moment konnte jemand auf sie aufmerksam werden.

„Geh auf!“, knurrte sie dem großen Torflügel zu. „Lass mich raus!“ Verzweifelt warf sie sich mit aller Kraft gegen Tür und Riegel. Hinter ihr fraßen die Flammen sich durch uralte Balken und sprengten Dachziegel. Maris griff nach ihrer Hitze und zerrte einen Teil davon zu sich.

Ihr habt das hier angerichtet, erklärte sie wütend. Jetzt bringt mich auch hier raus!

Das Feuer strömte nur zu gerne, gestärkt von Holz und Stroh und alten Schriften. Unter Maris‘ Händen glühten die eisernen Riegel auf und brannten sich durch die Torflügel. Noch einmal drückte sie und mit einem Ruck stand sie im Freien. Kalter Wind fuhr in ihre Kleidung und das Feuer in ihr jauchzte auf. Maris konzentrierte sich auf ihre Füße und lief los. Sie musste fort.

Hinter ihr schallte ein Befehl durch die Nacht. Sie hatten sie gesehen, sie folgten ihr. Maris rannte wie noch nie in ihrem Leben, stolperte über die Wiese und durch die flackernden Schatten. Sie hörte Schritte hinter sich, wagte aber nicht, sich umzusehen. Weiter, sie musste weiter, über das Feld, am Fischteich entlang, bis zum Wald. Dort hinein würden sie ihr nicht folgen.

Wie eine schwarze Mauer ballten sich die Bäume vor ihr zusammen. Eine stumme Drohung im kalten Winterregen. Maris keuchte jetzt so laut, dass sie die Stimmen hinter sich nicht mehr hören konnte. Ihre Füße platschten ins Wasser, rutschten im Schlamm aus und Dampf stieg in zischenden Wolken auf.

Dann lag der Teich hinter ihr und das Ackerland verwandelte sich in felsigen Hang. Sie stürzte, stand auf, stolperte weiter. Die Schatten wurden tiefer. Da endlich kletterte sie an den ersten Baumriesen vorbei und in das dichte Unterholz des Waldes. Knorrige Baumstämme und dornige Sträucher stellten sich ihr in den Weg und rissen an ihren Kleidern, als wollten sie sie am Betreten des verbotenen Grundes hindern.

Sie zwängte sich mit Gewalt in die Dunkelheit und blieb auch nicht stehen, als Äste und Zweige hinter ihr zusammenschlugen. Sie strauchelte über Wurzeln und moderndes Laub, bis sie endlich auf eine kleine Lichtung taumelte. Nach Atem ringend drehte sie sich um und sah zurück. Nur noch ein undeutlicher, orangeroter Schein flackerte durch die kahlen Äste und wies ihr den Ort, an dem der Tempel brannte.

Die Knie knickten unter ihr weg, sie fiel und schlug auf harten Stein. Der scharfe Schmerz zerriss das Bild von Feuerschein und dunklen Bäumen. Es flackerte, verschwamm und löste sich auf wie Rauch im Wind.

Maris' Atem blieb in ihrem Hals stecken und sie begann heftig zu husten. Tränen füllten ihre Augen und als sie endlich wieder klar sehen konnte, war sie von den vertrauten Umrissen ihres Zimmers umgeben. Sie lag auf dem Boden neben dem Bett, die Decke um ihren verschwitzten Körper verknotet, und es dauerte, bis sie sich endlich aus ihr befreien konnte.

„Ein Traum“, sagte sie laut, halb wütend über sich selbst, dass sie das nicht gemerkt hatte. „Es war nur ein verdammter Traum.“


Maris zitterte noch immer, als sie sich in der kleinen Küche ihres Gildenhauses zusammenkauerte. So ungefähr musste sich ein Hase fühlen, der sich auf der Flucht vor Jagdhunden in eine Grube drückte.

Sie hielt sich an ihrer Teetasse fest und starrte auf die dunkle Flüssigkeit. Der Dampf erinnerte sie an Rauch und zischenden Winterregen. „Wenn ich den finde, der hier so einen Mist zusammenträumt …“

Sie biss sich auf die Lippe und schloss die Augen. Es war nicht das erste Mal, dass sie unabsichtlich in die Erinnerungen eines anderen eintauchte. Tagsüber hatte sie wenigstens eine Chance, fremde Empfindungen von ihren eigenen zu unterscheiden, aber nachts war sie ihnen hilflos ausgeliefert. Nur hatte dieser Traum sich anders angefühlt. Nicht wie die verschwommenen Eindrücke und Erinnerungsfetzen, die sie sonst im Schlaf umflirrten wie Mücken im Sommer. Es war intensiver gewesen und auf eine unheimliche Art real. Noch immer konnte sie das hungrige Lachen der Flammen hören und in ihrem Mund lag der Geschmack von Asche.

Sie riss die Augen wieder auf und nahm hastig einen Schluck Tee. Prompt verbrannte sie sich die Zunge und fluchte laut.

Vorsichtiger geworden blies sie auf die heiße Flüssigkeit, bevor sie einen zweiten Schluck wagte. Diesmal verursachte der volle, würzige Geschmack nur noch ein angenehmes Prickeln auf ihrer Zunge und ließ sie freier atmen.

Langsam entspannte sie sich. „Einfach nur ein dummer Alptraum.“

Kurz fragte sie sich, ob sie jemandem davon erzählen sollte. Vielleicht handelte es sich bei ihrem Traum genau um die Art von Vision, die eine Seherin haben sollte.

Andererseits war es bisher nie gut gegangen, wenn sie von Dingen gesprochen hatte, die sie nichts angingen. Nein, besser sie fiel nicht auf.

Schlurfende Schritte näherten sich von der Treppe und Maris zuckte so heftig zusammen, dass sie einen Teil ihres Tees verschüttete. Wer außer ihr trieb sich denn mitten in der Nacht noch in den Gemeinschaftsräumen herum?

Ihre Hände krampften sich um ihre Tasse, als ein junger Mann seinen Kopf durch die Küchentür streckte. Seinem zerknitterten Aufzug nach war er entweder gerade aus dem Bett gefallen oder noch gar nicht dort gewesen. Maris kramte in ihrem Gedächtnis, aber sie hatte sich nie viel Mühe gemacht, die Namen der anderen Studierenden der Sehergilde zu lernen.

„Ich hab Tee gerochen“, gähnte der namenlose. „Ist noch was übrig?“

Sie nickte knapp und musste ebenfalls gähnen. „Bedien dich.“

Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht und verlor sich im nächsten Moment schon wieder. Seine dumpfe Schläfrigkeit wich einem wesentlich wacheren Erkennen.

„Oh, du bist das.“

Er starrte sie an, als wäre er im Bad auf eine besonders große Küchenschabe getreten. Gleichzeitig angewidert und unschlüssig, wie er reagieren sollte.

Reflexhaft versuchte Maris, seinem Blick auszuweichen. „Der Tee ist nicht vergiftet.“ Sie drückte den Rücken gegen ihre Stuhllehne und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine sinnlose Barriere gegen die bittere Abscheu, die er verströmte. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf, um seine unerwünschten Gefühle loszuwerden. Bei der Bewegung löste sich ihr Haarband und glitt zu Boden.

Leise fluchend tauchte Maris unter den Tisch ab. Als sie sich wenige Augenblicke später mit dem verwünschten Band wieder aufrichtete, war der Student verschwunden. Den Tee hatte er nicht angerührt.

„Sein Pech“, murmelte sie. Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durch ihr dunkelbraunes Haar und flocht es erneut zu ihrem gewohnten Zopf.

Dann vergrub sie das Gesicht in ihren Händen und griff nach dem Rest von seinen Gefühlen, die an ihr hafteten wie ein unangenehmer Geruch. Sie konzentrierte sich darauf, sie von ihren eigenen zu lösen und in die Steinfliesen unter ihren Füßen sickern zu lassen. Zurück blieb nur ein Echo der Panik aus ihrem Alptraum und eine ungewohnte Kälte, die selbst der heiße Tee nicht vertreiben konnte.


Kapitel 2

Als Zolan die schweren Lider hob, stach das Licht in seinen Augen und er musste mehrmals blinzeln, bis sie sich daran gewöhnt hatten. Es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass er keineswegs in die gleißende Sonne starrte. Eigentlich umgaben ihn die trüben Schatten eines Wintertages und über ihm verdeckten dicke Äste den Himmel. Trotzdem tanzten ihm leuchtende Punkte vor den Augen.

Seine Zunge fühlte sich trocken an und viel zu groß für seinen Mund. Sein ganzer Körper war steif und sein Rücken schmerzte von dem kalten, harten Boden, auf dem er lag. Nur langsam nahm er seine Umgebung deutlicher wahr. Er hob den Arm, um sich an den pochenden Kopf zu fassen, und hielt in der Bewegung inne, als seine Finger über etwas Warmes und Raues strichen. Unter erneutem Blinzeln wandte er den Blick von den Ästen über ihm zu seiner Seite und versuchte zu erkennen, was dort lag. Es war groß und nah genug, um sein gesamtes Blickfeld einzunehmen, und von einer ähnlich graubraunen Färbung wie die Rinde der ihn umgebenden Bäume. Doch anders als Baumrinde fühlte es sich warm an und … Zolans träger Geist suchte nach dem richtigen Wort. Pelzig. Das war es. Vor ihm lag ein großes Wesen mit graubraunem Pelz.

Zufrieden mit sich selbst wollte Zolan den Kopf wieder sinken lassen, als die Erkenntnis sein Bewusstsein traf. Mit einem Ruck setzte er sich auf und bereute die Bewegung sofort. Dröhnende Schmerzen brandeten durch seinen Kopf und sein Magen schlug einen Salto. Er keuchte und würgte kurz, dann gelang es ihm, die Übelkeit zurückzudrängen, und das Pochen zwischen seinen Ohren ließ nach.
Seine plötzliche Bewegung hatte das Tier neben ihm aufgeschreckt. Tiere, korrigierte er sich, als sich nicht nur rechts, sondern auch links von ihm ein Kopf hob. Spitze, fellbedeckte Ohren drehten sich in seine Richtung und bernsteinfarbene Augen musterten ihn.
Das Wesen zu seiner Linken öffnete die lange Schnauze zu einem herzhaften Gähnen und enthüllte dabei eine Reihe messerscharfer Reißzähne. Wäre Zolans Mund nicht so trocken gewesen, hätte er geschrien, doch so entwand sich nur ein krächzendes Keuchen seiner Kehle.

Zolan war mit den grimmigen Hirtenhunden vertraut, die die Bauern dieser Gegend züchteten, um sich und ihre Herden zu schützen. Doch etwas an den langen, muskulösen Körpern, den breiten Kiefern und dem wachen Blick dieser Geschöpfe hier sagte ihm, dass sie kurzen Prozess mit einem Hirtenhund machen würden.

Einer der Hunde — oder Wölfe? — legte den Kopf schief und zuckte mit dem Ohr, sonst regte sich nichts. Auch Zolan erstarrte in der Bewegung. Er wagte kaum zu atmen. Minuten vergingen, in denen er und die Wölfe sich anstarrten.

Schließlich gab das Tier rechts von Zolan ein Geräusch wie ein resigniertes Seufzen von sich und erhob sich in einer fließenden Bewegung auf die Beine. Das zweite folgte seinem Beispiel, wobei es noch einmal sein beeindruckendes Gebiss in einem weiten Gähnen entblößte und sich herzhaft schüttelte.

Kurz überlegte er wegzulaufen, doch ihm war klar, wie lächerlich sinnlos das wäre. Vorsichtig ließ er den Blick umherschweifen in der Hoffnung, etwas zu finden, das er als Waffe benutzen könnte. Doch von altem Laub und Zweigen abgesehen war der Waldboden leer.
Als er den Kopf etwas weiter drehte, langsam und ohne die Wölfe aus den Augen zu lassen, fiel sein Blick auf das Buch, das unter ihm gelegen hatte. Zwischen dem braunen Laub wirkte es unscheinbar und irgendwie fehl am Platze. Auf dem rissigen, von Ruß geschwärzten Einband ließ sich der Titel kaum entziffern. Vom Krieg der Brüder und wie er ein Ende fand. Noch immer konnte er die Abdrücke seiner Finger dort erkennen, wo er das Buch fest umklammert hatte.

Der metallische Geruch von Blut stieg ihm in die Nase und diesmal konnte er die aufsteigende Übelkeit nicht mehr unterdrücken. Er schaffte es gerade noch, sich ein Stück zur Seite zu beugen, bevor er sich hustend und würgend erbrach. Während er darum kämpfte, die Kontrolle über seinen Körper zurückzugewinnen, war er sich überdeutlich der Wölfe bewusst, die ihn weiterhin beobachteten. Doch sie machten keinerlei Anstalten, anzugreifen.

Endlich gab es nichts mehr in Zolans Magen, das er noch von sich geben konnte, und er richtete sich zitternd wieder auf.
»Na schön«, raunte er den Geschöpfen vor sich zu. »Was auch immer ihr von mir wollt, ich wäre euch dankbar, wenn wir es hinter uns bringen könnten.«

Zwei Paar Ohren zuckten bei seinen Worten, als würden die Tiere aufmerksam lauschen, dann kam eines der beiden langsam näher. Zolan kniff fest die Augen zusammen. Warmer Atem strich über seine Haut, als das große Geschöpf erst sein Gesicht, dann seine Brust, Arme und Hände beschnüffelte.

Zolan kam der unsinnige Verdacht, der Wolf wolle sich vielleicht davon überzeugen, dass es ihm gut gehe, doch den Gedanken schob er beiseite. Da spürte er einen Stoß auf der Brust, nicht fest, eher ein leichtes Stupsen. Überrascht öffnete er die Augen. Der Wolf sah ihn aus seinen bernsteinfarbenen Augen an, dann stupste er ihn ein zweites Mal. Er wandte sich um, lief ein paar Schritte weg und blickte wieder zu Zolan zurück.

Als der sich nicht regte und den Blick nur verwirrt erwiderte, drehte das Tier um, stupste ihn diesmal etwas fester, lief wieder ein Stück weg und sah ihn mit einer klaren Aufforderung in den Augen an. Zolans Blick wanderte zu dem zweiten Wolf, der schon etwas weiter entfernt zwischen den Bäumen stand. Er hatte ein Ohr auf Zolan gerichtet, das andere lauschte in den Wald hinein.
Der erste Wolf gab eine Art ungeduldiges Japsen von sich, kehrte zum dritten Mal zu Zolan zurück und ging dann wieder in die Richtung seines Begleiters. Selbst mit menschlichen Stimmen hätten die Tiere nicht deutlicher sagen können, was sie von ihm wollten.
Zolan zögerte kurz, dann zuckte er mit den Schultern. Was hatte er schon zu verlieren? Vielleicht führten die Wölfe ihn zu ihrem Bau und fielen dort über ihn her, aber wenn er hier sitzen blieb, würde er entweder in der kalten Luft erfrieren oder den Walddämonen zum Opfer fallen. Falls er nicht zuvor verdurstete. Ohne weiter nachzudenken, griff er mit steifen Fingern nach dem Buch, erhob sich leicht schwankend auf die Füße und stolperte hinter den Wölfen her. Die schienen mit seiner Reaktion zufrieden zu sein, denn sie wandten sich um und liefen los.

Bevor er ihnen endgültig ins Unterholz folgte, ließ Zolan noch einmal den Blick über die kleine Lichtung schweifen. Auf den mannsdicken Wurzeln glitzerte Raureif und das Laub am Boden wies an vielen Stellen weiße Eisränder auf. Ein Frösteln durchlief Zolans Körper, das nicht von der winterlichen Kälte herrührte. Ohne die Körperwärme der beiden Wölfe wäre er letzte Nacht sicher erfroren. Bei seiner Flucht aus dem Tempel hatte er keinen Mantel, geschweige denn eine Decke mitnehmen können. Er war einfach immer weiter gerannt, bis er auf dieser Lichtung zusammengebrochen war. Das gab ihm neuen Stoff zum Nachdenken, während er den beiden Tieren folgte.